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Samstag, 05.05.2012: Burgos - Rabé de las Calzadas (13,5 km)
Sehr gut habe ich nicht geschlafen! Draußen war es recht laut in der Calle San Juan - am Freitag Abend geht man aus - also habe ich das Fenster zugemacht, mit dem Ergebnis, dass es fürchterlich stickig im Zimmer war! Außerdem hat es die ganze Nacht heftig geregnet.
Und es regnet morgens immer noch! Das fördert die Motivation nicht gerade! Eigentlich wollte ich die erste Etappe erst in Tardajos beginnen und bis dorthin mit dem Bus fahren, aber der fährt erst mittags. Und ich habe keine Lust mehr, untätig hier herumzuhängen.
Also gebe ich mir einen Ruck, kaufe mir an der Bar des Hotels noch ein Wasser und trabe los. Bei 6 Grad Celsius!
Der Camino führt mich auch an der Pension Punta Brava vorbei, in der wir im letzten Jahr übernachtet haben.
Der Weg aus der Stadt zieht sich etwas, ist aber ganz o.k.
Als ich gut aus der Stadt raus bin, fängt es richtig zu regnen an und ich denke darüber nach, ob ein Regencape, wie es alle um mich herum haben, sinnvoll wäre. Aber das wäre noch mehr Gewicht und das einzige, was richtig nass wird, ist nur die Hose, die schnell trocknet.
Man merkt den anderen Pilgern an, dass sie schon viel Regen hinter sich haben, so verbissen oder Gott ergeben, wie sie laufen. Ich höre später, dass es seit zwei Wochen praktisch am Stück geregnet hat! Na, das kann ja heiter werden!

Ich bin um 8.45 Uhr in Burgos los gelaufen und komme um 11.30 in Tardajos an, wo ich in der Bar Ruiz einen café con leche und ein viel zu trockenes bocadillo zu mir nehme.

Schon meldet sich der rechte kleine Zeh mit einer kleinen Blase! Sofort abgeklebt!
Bald danach erreiche ich Rabé de las Calzadas und meine erste Albergue: Libéranos Dómine. Es ist eine wirklich empfehlenswerte Herberge mit einer sehr netten Hospitalera, die für eine gute Atmoshäre sorgt, lecker kocht (Nudelsuppe, Salat, frisch gebackene Tortilla, Joghurt, Wein und Wasser) und sich um die Wehwechen der Pilger kümmert. Und davon gibt es viele! Ich bin erstaunt, eher entsetzt, weil hier eigentlich jeder humpelt: Kniebeschwerden, Blasen an den Füßen, Probleme an Achillessehne oder Schienbein...!

Ich bin sehr früh und immer, wenn es mir im Zimmer zu kalt wird, weil es insgesamt doch sehr ungemütlich ist, ziehe ich alles an, was ich habe und gehe eine Runde durch den kleinen Ort und suche Fotomotive. Durch die Bewegung wird mir wieder warm und ich kann eine weitere Weile auf dem Bett liegen und vor mich hin dösen.

Man kommt dabei schnell ins Gespräch: z.B. mit Marina und Regina aus Bayern. Sie sind (Ex-)Kolleginnen und Freundinnen und sind nun im fünften Jahr auf dem Camino unterwegs: im ersten Jahr von München nach Bregenz, dann weiter durch die Schweiz, dann zwei Sommer lang durch Frankreich und nun wollen sie das letzte Stück bis nach Finisterre gehen.
Oder mit einer Dänin, der man in Roncesvalles die Schuhe geklaut hat! Sie ist dann mit dem Bus nach Pamplona gefahren um sich erst einmal neue zu kaufen!
Oder mit Leo aus Weihenstefan, der vor Knieschmerzen kaum noch laufen kann, aber unbedingt weiter gehen will!

Abends sitzt man zusammen am Tisch und fachsimpelt, gibt Ratschläge und tauscht Erfahrungen aus. Man ist irgendwie eine große Familie - das ist total schön!

Erkenntnis des Tages: Ruhig langsam anfangen und dem Körper Zeit geben.

 
Sonntag, 06.05.2012: Rabé de las Calzadas - Hontanas (19 km)
Ich muss mich erst wieder an das Schlafen mit Ohrstöpseln gewöhnen, aber die sind in den Albergues unverzichtbar. Ich stelle mir keinen Wecker, man wacht von alleine auf, wenn irgendwelche Pilger morgens früh anfangen zu "kruscheln" und zu packen. Heute ist es ein junger Spanier, der für 6.20 seinen Wecker gestellt hat.

Man kann in dieser Herberge zwischen7.00 und 8.00 Uhr frühstücken, und das sogar recht ordentlich: reichlich Kaffee mit Milch, Tostada (getoastete Weißbrotscheiben) mit verschiedenen Marmeladen. Eben ein typisch spanisches Desayuno!

Heute können wir ohne Regen laufen, auch der Wind hat nachgelassen, eigentlich gutes Wanderwetter. Man hat gute Sicht bis zu den schneebedeckten Bergen nördlich von Hornillos del Camino.
Die Vögel zwitschern wie bekloppt! Schön! Das wird auch die ganze Zeit so bleiben. Und der Kuckuck ist zu hören. Auch er wird mich bis nach Santiago begleiten. Für mich wird der Kuckuck quasi zum Maskottchen und ich begrüße ihn jeden Morgen - wenn mich keiner hört. Ich rede auch meinen Füßen morgens gut zu und lobe sie, weil sie mich gut tragen.

Das erste Stück gehe ich zusammen mit Leo, der, obwohl er immer noch leicht humpelt, vor Freude jauchzt, weil er überhaupt noch laufen kann. Er hat sich mit einer Portion "Caminodrogen" (Voltarentabletten und/oder Ibuprofen 600) "gedopt", damit es für ihn weiter geht. Ich habe ihn später nicht mehr gesehen, ich bezweifle, dass er den Weg so einfach fortsetzen konnte.

Dies ist nun die erste von 8 Etappen über die Meseta, die meist baum- und schattenlose Hochebene (auf ca. 800 m Höhe) zwischen Burgos und Leon. Diese Etappe heute bei gutem Wanderwetter ohne Hitze oder Regen bietet wunderbare Weitblicke und ich finde sie ganz und gar nicht eintönig.
In dem kleinen Ort Hornillos kaufe ich etwas Proviant in einem sehr gut sortierten kleinen Laden, der sich auf die Bedürfnisse von Pilgern eingestellt hat: es gibt alles mögliche in Kleinstportionen und man kann ein sehr sauberes WC benutzen. Umsonst, versteht sich!
Im Windschatten einer Steinmauer am Wegesrand picknicke ich und erreiche später mein Etappenziel für heute: Hontanas.

Den Empfehlungen meiner Pilgerfreunde des letzten Jahres folgend suche ich mir ein Bett in der Albergue Santa Brigida. Eine gute Empfehlung: es ist sauber und geräumig dort. Zwei Paare, die ich in der Herberge von gestern gesehen hatte, sind auch hier untergekommen: ein Paar aus den Niederlanden und Brian mit seiner Frau aus Australien.

Es folgt der typische Nachmittag eines Pilgers: Bett belegen und Rucksack auspacken; Dusche und Fußpflege; Wäsche waschen und aufhängen; Tagebuch schreiben; den Ort "besichtigen" und ggf. irgendwo einen Kaffee trinken; Leute gucken oder sich mit ihnen unterhalten. Man glaubt es kaum: im Handumdrehen wird über diesen Tätigkeiten Abend und es ist Zeit für das Abendessen. Das ist der Beginn der Entschleunigung, die einen wichtigen Teil des Camino ausmacht.

Hontanas hat sich wie viele der Orte am Camino auf die Pilger eingestellt: es gibt weit mehr Betten als Einwohner hier! Und so kommt mir die kurze Hauptstraße des Ortes vor wie eine "Pilgermeile".
Das Wetter ist besser geworden und man kann prima vor der Herberge bei einer copa de vino tinto sitzen und Leute gucken. Das ist besser als Kino! Brian, der allein schon durch seinen langen Bart und seine langen weißen Haare auffällt, setzt sich im Yogasitz vor die Herberge; Michelle aus South Carolina guckt ihm interessiert zu während sich die ungarische Pilgerin um ihre Wäsche kümmert.

Zum Abendessen sitzt man zu elft um einen großen Tisch in internationaler Runde: 4 aus den USA; 2 Damen aus Frankreich - die sehr an dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen interessiert sind; 1 Namibierin; 1 Irin; 2 Australierinnen und ich. Es gibt ein reichhaltiges und leckeres Essen, der Wirt kocht selber. Im Allgemeinen sind die Pilgermenus, die in einer Herberge nur für die Pilger gekocht werden, immer sehr lecker und reichhaltig, besser als die Pilgermenus in den Restaurants.

Es ist eine nette Runde, es wird viel gelacht und man erzählt sich die wildesten Geschichten. Die Namibierin hat z.B. großes Glück gehabt, als sie die Pyrenäen überquerte. Das Wetter war sehr schlecht, es war kalt und nebelig, es gab Schnee und sie hat sich irgendwo oben entkräftet hingehockt, weil sie nicht mehr konnte. Zum Glück kam ein Auto der Post vorbei und hat sie eingesammelt. Es soll übrigens in dieser Zeit sogar eine Tote auf dem Camino in den Pyrenäen gegeben haben und man konnte einige Tage lang die Route über den Paß nicht benutzen und musste die Straße nehmen. Ähnliche Wettererfahrungen hatten auch die Amerikaner! Puh, da habe ich ja im letzten Jahr noch richtig Glück mit dem Wetter gehabt! Es war nur kühl und sehr windig damals!
Und wodurch hat sich die Irin ausgezeichnet? Na klar, durch Singen! Sie hat zwei irische Lieder mit gefühlten 25 Strophen zum Besten gegeben! Sie hat eine wirklich gute Stimme, aber weniger wäre mehr gewesen.

Erkenntnis des Tages: Auch in kleinen Orten bietet sich viel Unterhaltsames.

 
Montag, 07.05.2012: Hontanas - Itero de la Vega (21,3 km)
Es ist immer noch recht kühl morgens und man braucht keine Angst vor der Hitze am Mittag zu haben. Also nehme ich mir Zeit und frühstücke in der Bar der Albergue gegen 7.00 Uhr. Während ich den café con leche und das croissant genieße, sehe ich die frühmorgendlichen "Jagdpilger" in Scharen am Fenster vorbei marschieren.
Das habe ich im letzten Jahr so gehasst: die Hetze am Morgen aus Angst, man könne abends kein Bett mehr bekommen oder es könnte zu heiß werden! Nun, da ich ganz alleine für mich entscheiden kann, ist der Morgen viel entspannter. Im letzten Jahr war ich Teil einer Gruppe, der ich mich angeschlossen hatte. Das war sehr schön, man hatte Gesellschaft und Freunde und empfand auch eine gewisse Sicherheit, zumal eine Mitpilgerin fließend Spanisch sprach. Doch die Kehrseite der Medallie war, dass man sich natürlich auch immer nach den anderen richten musste.

Nachdem die Pilgerherscharen den Ort verlassen hatten, gehe ich dann auch gegen 8.10 Uhr los und finde mich weitgehend alleine auf der Strecke. Es ist eine schöne Strecke und der Himmel taucht die Landschaft immer wieder in ein tolles Licht.
Nach 6 km erreiche ich die Ruinen des Klosters San Antón, wo man sich im Mittelalter um die an Lepra erkrankten Pilger kümmerte. Hier treffe ich Michelle wieder, wir kommen ins Gespräch und gehen gemeinsam weiter. Sie wandert mit einem vorsintflutlichen Rucksack und ist auch ganz unglücklich darüber.

Bald liegt eindrucksvoll Castrojeriz vor uns und wir suchen ein Café für eine Pause. Bei der Gelegenheit kommen wir am örtlichen Outdoorladen vorbei und beschließen, einen vernünftigen Rucksack für Michelle zu kaufen.
Ich krame ein paar Brocken Spanisch zusammen, um dem Ladenbesitzer unsere Wünsche klar zu machen. Es entwickelt sich eine köstliche Verkaufssituation. Michelle packt auf einer Bank vor dem Geschäft kurzentschlossen und ungeniert ihre gesamten Siebensachen aus dem alten Rucksack aus. Dann stopft sie alles in den neuen Rucksack und probiert ihn an, während der Ladenbesitzer erstaunt dem Treiben zusieht. Alles ist ganz gut, aber ihr Schlafsack ist beim besten Willen nicht unterzubringen! Das ist aber auch so ein Monstrum! Doch auf einen kleineren Mumienschlafsack, wie es der erfahrene Outdoorladen-Senior eindringlich empfiehlt, will sich Michelle nicht einlassen.
Sie kauft den Rucksack, lässt ihren alten dort - man könnte ihn ja dekorativ ausstellen? - und wir gehen weiter, um uns in einer kleinen Bar zu stärken.

Bald darauf mühen wir uns den steilen Anstieg des Tafelberges hinauf und haben von oben einen tollen Blick über die Meseta.
Was ist eigentlich angenehmer: steil hoch oder steil runter? Wir wissen es nicht, stellen nur fest, dass der Abstieg vom Tafelberg auch kein Zuckerschlecken ist.

Unterwegs erzählt mir Michelle über ihre Beweggründe den Camino zu machen. Sie will familiäre Erlebnisse bewältigen. Diese Situation ist auch typisch für den Camino: man erzählt sich gegenseitig die intimsten Dinge! Es ist unglaublich, aber man tut es immer wieder! Das hat etwas Therapeutisches: je öfter man über seine Probleme oder die Dinge, die einen beschäftigen, spricht, desto beser kann man damit umgehen. Und: je mehr man von anderen Leuten hört, desto besser kann man seine eigene Situation einschätzen und relativieren.

Michelle hat ein bewegtes und interessantes Leben hinter sich: sie war selbstständige Heb-amme, hat Gemüse auf ihrer Farm angebaut, ist Storyteller, also Geschichtenerzählerin. Sie macht das schon fast professionell. Es gibt wohl richtige Treffen für Storyteller, wo man vor einem großen Publikum auftritt. Na, der Camino wird bestimmt genügend Stoff für neue Geschichten bieten!

Der Tafelberg hat aber Michelle viel Kraft gekostet - sie ist wie ich auch erst seit Burgos unterwegs - und wir trennen uns, denn sie muss Pause machen und ich möchte weiter laufen. Ich will noch bis Itero, dort soll eine vernünftige Herberge sein.
Kurz vor Itero holt mich dann der Regen wieder ein und ich werde noch einmal richtig nass.

Die Herberge La Mochila erweist sich, wie im Pilgerführer beschrieben, wirklich als (sehr) einfach, aber die andere Herberge des Ortes soll, wie ich später erfuhr, noch schlechter sein. Immerhin ist man im Trockenen und das Abendessen ist durchaus in Ordnung.
Für jemanden, der etwas beleibter ist, dürfte allerdings das Duschen zum Problem werden, das ist mehr als eng!
Marina und Regina aus Bayern sind auch hier, ebenso wie Brian mit Frau aus Australien. Beim Abendessen erzählt er, dass er in Australien Yoga-Kurse gibt. Also doch! Als er aber dann zum Rauchen hinaus gehen will und ich sage, dass dies nicht wirklich zu Yoga passe, meint er nur ganz trocken: Er sei ja auch sonst Maurer und in diesem Augenblick ginge er eben als Maurer raus um zu rauchen! Dabei blitzen seine Augen ganz schelmisch!

Erkenntnis des Tages: Reden und Zuhören sind wichtige heilende Elemente des Camino.

 
Dienstag, 08.05.2012: Itero de la Vega - Población de Campos (18,2 km)
Das Frühstück ist eine Frechheit! Man hat gestern abend im Voraus bezahlt und gesagt, was man trinken möchte, ich will morgens z.B. Kaffee. Morgens steht auf dem Tisch eine Drück-Thermoskanne, in der noch gerade ein Schluck kalter Kaffee ist, ansonsten liegen auf dem Tisch lieblos ein paar Madeleines, das war es! Die Küche ist abgeschlossen, es ist kein Mensch da. Einige andere Pilger gehen ebenso wie ich leer aus.
Während ich wutentbrannt meinen Rucksack schultere und sehe, dass es draußen in Strömen regnet, geht "Yogi" Brian in voller Regenmontur vorbei, ruft fröhlich: "Enjoy!" und verschwindet im Wind und Regen! Typisch Brian, aber er hat Recht, man muss das Wetter nehmen wie es ist.

Zwei Stunden laufe ich strammen Schrittes gegen Wind und Regen an und freue mich auf ein vernünftiges Frühstück in Boadilla. Ich folge dabei wieder einer Empfehlung meiner Pilgerfreunde aus dem letzten Jahr, die ja weiter als ich gegangen sind. "Da musst du unbe-
dingt hin!"

Das Desayuno in "En el Camino" ist wirklich ein Traum, die Bewirtung durch den Hospitalero auch! Freundlich, locker, schnell! Man bestellt sich ein bocadillo con tortilla frances (Rührei) und ein café con leche. Dieser wird aus zwei Kannen von weit oben vom Wirt persönlich eingeschenkt und ist super lecker, genauso wie das absolut frische Rührei!
Nach und nach trudeln alle möglichen Bekannten hier ein und machen es mir nach: auch Marina und Regina und Michelle. Ich hatte aber auch vorher schon die Werbetrommel für dieses Frühstück getrommelt! Die Außenanlage der Herberge ist auch sehenswert, leider läßt das Wetter für uns einen Aufenthalt draußen heute nicht zu.

Immerhin hat der Regen aufgehört, als wir weiter laufen. Michelle und ich gehen bis Frómista wieder ein Stück gemeinsam. Auch das ist typisch: man trifft abends oder unterwegs Leute, mit denen man sich unterhält, die man schätzen lernt. Man geht tagsüber weitgehend alleine oder beschließt, ein Stück mit jemandem gemeinsam zu gehen, solange es gut passt. Trennt man sich dann unterwegs, freut man sich doch, wenn man sich abends wieder sieht.

Geht man alleine, sieht man mehr von der Landschaft, weil man mehr darauf achtet. Geht man gemeinsam, geht die Strecke schneller vorbei, weil man sich unterhält. Beide Varianten haben ihre Vorteile.

Michelle und ich passen ganz gut zusammen, was die Themen und Ansichten angeht: wir reden über Kindererziehung, über Beziehungen im Allgemeinen und Männer im Speziellen, über Politik.
Es geht am Kanal von Kastilien entlang und wir sind schnell in Frómista, wo Michelle übernachten will. Ich jedoch gehe noch ein paar Kilometer weiter, damit die nächste Etappe nicht zu lang wird.

Hinter Frómista fängt die sogenannnte "Pilgerautobahn" an, das ist eine Strecke, die immer geradeaus entlang der Straße verläuft. Ich finde das erste Stück davon heute nicht so negativ, wie der Name vermuten lässt, denn es gibt einen tollen Himmel und man hat wieder weite Blicke über das fruchtbare Land.

In Población gibt es nur die Gemeindeherberge und man meldet sich im benachbarten Hotel an. Dort werde ich mit einem Gläschen Rotwein empfangen und fühle mich gleich angenehm benebelt.
Der Ort ist schnell erkundet, man sieht hier die typische Adobe-Bauweise: Häuser aus Lehm, die aber leider schnell verfallen.

In der sehr einfachen, aber sauberen Herberge übernachten heute 7 Pilger, auch Regina und Marina treffen hier ein. Wir gehen zusammen in einer der zwei Bars essen, eher schlecht als recht.
Die Herberge hat keine Heizung, man hat aber Wolldecken auf die Betten gelegt. In dieser Nacht wird es dann so kalt, dass ich meine lange Skiunterhose und meine Fleecejacke anziehen muss, denn die Decken hatten sich vorher die anderen Pilger eingeheimst. Ich war eben zu langsam.

Erkenntnis des Tages: Für ein gutes Frühstück muss man schon mal ein gutes Stück laufen!
Dann aber lohnt es sich!

 
Mittwoch, 09.05.2012: Población de Campos - Carrión de los Condes (17 km)
Mein Pilgerführer empfiehlt für das nächste Stück eine Alternative, die ich auch nehme. Überhaupt kann man mit dieser "Pilgerbibel" aus dem Outdoorverlag gut laufen, die Beschreibungen sind genau und verlässlich.

Es soll leider erst nach 11,5 km die nächste Möglichkeit für ein Frühstück geben, na prima! Aber Marina und Regina sind auf alle Fälle vorbereitet, sie sind halt schon "alte Hasen" was das Pilgern angeht. Heute morgen kam ich deshalb zumindest in den Genuß eines Instant-Capuccinos, den sie für Orte ohne jegliche Frühstücksmöglichkeit dabei haben. Vielen Dank!

Die Wegalternative ist bestens ausgeschildert und schön zu laufen, es geht entlang eines kleinen Baches statt an der Straße. Am Himmel hängen drohende dunkle Wolken, doch es bleibt trocken und der Anblick des Himmels ist toll. Ich genieße die frische Morgenluft jeden Tag aufs Neue!

Im nächsten Ort nach ca. 4 km soll es eine Bar geben, die aber erst im Juli geöffnet sein soll. Als ich dort vorbei komme, sehe ich auch keinerlei Leben und denke: Schade! Just in diesem Augenblick kommt ein Auto angefahren und hält vor der kleinen Gartenkneipe. Eine junge Frau steigt aus und hebt Bleche aus dem Auto. Ich gucke sie fragend erwartungvoll an und sie nickt!
Super! Das Frühstück ist gerettet. Ich folge der Dame und genieße in aller Ruhe einen wundervollen café con leche mit einem superfrischen Teilchen. Solche Gegebenheiten haben wir später "die jakobäische Fügung" genannt. Es sollte wohl so sein!

In Villalcázar de Sirga trifft man bei einer Pause vor einer interessanten Kirche wieder auf "die üblichen Verdächtigen": Mitpilger, die einem schon über den Weg gelaufen sind.
Wir "echten" Pilger betrachten dabei die "unechten" Buspilger, die von einer Besichtigung aus der Kirche kommen. Wahrscheinlich betrachten die uns umgekehrt auch mit einem Schmunzeln!
Ich treffe hier Michelle wieder und wir gehen bis nach Carrión de los Condes wieder ein Stück gemeinsam.

In Carrión wimmelt es nur so von Pilgern. Dies ist wohl für die meisten ein wichtiges Etappenziel, denn danach kommt eine gefürchtete Strecke: 18 km ohne Zwischenstopp-Möglichkeit über die baumlose Meseta! Das möchte man gestärkt morgens früh angehen, also übernachten alle in Carrión de los Condes.
Dementsprechend gibt es einige Herbergen, Michelle und ich kommen in der kirchlichen Herberge unter, die ordentlich und gut geführt ist.

Heute gehen mir die Pilgermassen etwas auf die Nerven. Es geht immer um die gleichen Themen: Wie weit bist du gegangen? Welche Blessuren hast du? Was macht man dagegen?
Viele Leute scheinen wirklich nicht auf ihren Körper zu hören und lassen sich vom selbst aufgestellten Etappenplan treiben: "Heute bin ich weniger gelaufen als geplant! Aber ich muss doch am Soundsovielten in Santiago sein! Hoffentlich schaffe ich das!"
Ach, was geht es mir gut! Ich habe noch keinen Rückflug gebucht und bin auf diese Art und Weise völlig frei in meinen Entscheidungen.

Michelle und ich erkunden den netten Ort, der etliche hübsche Geschäfte bietet, unter anderem auch auf der Suche nach einem neuen Schlafsack für Michelle. Sie hat das alte Monstrum irgendwo (absichtlich) liegen gelassen und versorgt sich mit Decken in den Herbergen. Aber wir finden nichts.

Abends landen wir zum Essen in einem Lokal, in dem wir auch andere bekannte Pilger wieder treffen. Es ist ausgesprochen lecker dort, es gibt u.a. geschmortes Kaninchen.

Zurück in der Herberge ist inzwischen jedes Bett belegt, in unserem Raum sind es 18. Daneben, nur durch eine halb hohe Wand abgetrennt, noch einmal 18, deren Nutzer man sehr gut auch in unserem Raum hören kann.
Kurz vor dem Zapfenstreich hocken viele auf ihren Betten und pflegen ihre Knochen: man salbt und massiert die Füße, die Knie; auch einige ganz knackig aussehende junge Männer packen sich dicke Eisbeutel auf die Knie und stöhnen bei jeder Bewegung! Bisher musste ich mich nur mit einer Blase auf und einer unter dem kleinen Zeh herumschlagen.

Als ich nachts einmal aufwache und kurz die Ohrstöpsel herausnehme, kann ich dem Schnarchkonzert lauschen: jeder schnarcht wirklich anders! Eigentlich interessant und auch witzig! Ich entschließe mich jedoch schnell wieder, die Ohren zu schließen. Ein Hoch auf meine Ohrstöpsel!

Erkenntnis des Tages: Lass dich nicht von einem Plan treiben, dein Körper wird es dir danken!

 
Donnerstag, 10.05.2012: Carrión de los Condes - Calzadilla de la Cueza (18 km)
Um 6.15 Uhr fangen viele an, im Dunklen zu packen und es "kruschelt" und knistert: Reißverschluss auf, Reißverschluss zu, Tüte knisternd auf, etwas knisternd hinein und das ganze knisternd in den Rucksack. Dabei blitzt das Licht von Kopftaschenlampen hin und her.
Man braucht wirklich keinen Wecker! Das funktioniert ganz von alleine. Ich betrachte mir das in aller Ruhe von meinem Bett aus, bis um 6.30 das Licht zentral angestellt wird, begleitet von geistlicher Musik.

Etliche Pilger überbrücken die heutige harte Etappe mit dem Bus, so auch Michelle. Hoffentlich treffen wir uns noch einmal!

In der Bar España an der Bushaltestelle gibt es ein gutes Frühstück und um 7.30 Uhr marschiere ich los. Noch ist es angenehm frisch, aber es soll heute heiß werden, über
26 ° C, morgen und übermorgen soll es sogar noch heißer werden. Ausgerechnet jetzt, wo es durch die schattenlose Strecke geht! Na ja, besser als Regen!

Ich erreiche Calzadilla um 12.45 Uhr, nachdem ich eine kleine und eine größere Pause gemacht habe. Sooo schlimm war die Strecke nun auch nicht, aber ich bin froh, ange-kommen zu sein. Es wurde doch ziemlich warm, schön waren lediglich weite Blicke über das Land und auf entfernte schneebedeckte Berge.

Da ich heute meine 100-km-Marke geknackt habe, leiste ich mir für 30 € ein Einzelzimmer im einzigen Hotel des Ortes. Außerdem habe ich nun - zusammen mit den Kilometern des letzten Jahres - die Hälfte der Strecke zwischen St. Jean Pied de Port und Santiago de Compostela geschafft! Immerhin!

In bewährter Radler-Manier hänge ich meine Tageswäsche quer durch das Zimmer auf, esse dann eine Kleinigkeit meines Proviants, damit ich das nicht mehr mitschleppen muss und drehe eine Runde durch den Ort.

Danach halte ich mich im Schatten vor dem Restaurant auf und schreibe Tagebuch bzw. lausche den Unterhaltungen anderer Pilger an den Nachbartischen.

Das Abendessen wird hier wieder gemeinsam eingenommen und Hausherr Cesar bemüht sich sehr um seine Gäste. Das Essen ist wieder köstlich: Minestrone, gebratener Lachs mit Reis, Törtchen und Vino Tinto. Die Tischgesellschaft ist wieder international: Dänemark, Niederlande, USA und Deutschland.
Nebenan sitzt "Das" Liebespaar des Camino: Johannes aus Deutschland und Amelie aus Frankreich. Sie haben sich auf dem Camino kennen gelernt und man sieht sie immer wieder, Händchen haltend und sich verliebt in die Augen schauend. Für Debbie aus Miami ist dies DAS Thema. Sie liebt Romanzen und fragt die junge Französin ungeniert ständig nach dem Stand der Beziehung! Debbie ist immer sehr direkt und auch gerne ein wenig laut, aber auch herzlich.

Erkenntnis des Tages: Man schafft mehr, als man glaubt; man sollte sich nicht bange machen lassen.

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