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Freitag, 11.05.2012: Calzadilla de la Cueza - Sahagún (22,1 km)
Heute kommt die sechste Etappe durch die Meseta! Da es wieder heiß werden soll, stelle ich mir den Wecker auf 6.00 Uhr. Ich werde ja heute nicht durch die Mitpilger geweckt.

Nach einem spanischen Frühstück an der Bar des Hotels geht es um 7.00 Uhr los. Es ist angenehm kühl um diese Uhrzeit. Bis San Nicolas ist die Strecke gut und abwechslungs-reich, ich bin dabei die kleine Variante zwischen Ledigos und Terradillos de los Templarios durch die Felder gelaufen, sehr schön.

Danach geht es praktisch ohne Schatten immer entlang der Straße. Die inzwischen ange-pflanzten Bäume können noch keinen Schatten spenden, sie sind noch jung und immer noch mit recht kleinen Blättern.
Es wird immer heißer und drückender. Das finde ich sehr anstrengend. Der erste Anblick des Ortes kann meine Stimmung auch nicht wirklich aufheitern, ich finde den Ortseingang von Sahagún häßlich ohne Ende.

Warum tue ich mir das an? Ich habe keine Lust mehr! Wieder ins Hotel? Wo ist eigentlich der Ortskern? Oder gibt es nur Industriegebäude hier?

Nein, heute ist wieder Herberge angesagt, soll doch auch gut dort sein, hat man mir gesagt.
Ich finde allerdings den ersten Eindruck der Herberge Viatoris nur düster und ungemütlich. Wenigstens gibt es viel Platz zwischen den Betten und die Duschen sind auch gut!

Als ich danach in den Ort gehe, werde ich von der Schwüle draußen fast erschlagen! Immerhin ist es in der Herberge angenehm kühl!

Aber: ich habe ein Stimmungstief!

Bis ich an einer Ampel Michelle und Debbie stehen sehe! Der Tag ist gerettet, wir gehen auf die Plaza Mayor, trinken etwas und erzählen. Dann geht es mir wieder besser.
Gegen Abend wird die Runde an unserem Tisch immer größer, Walter aus Sydney und Bill aus York stoßen dazu, auch Sylvia aus den Niederlanden mit ihrer belgischen Begleitung und zu guter letzt auch Peter aus der Schweiz. Es wird gelacht, geredet, getrunken, es geht kreuz und quer mit den Gesprächen. So muss das sein! Das Tief ist weg!

Sylvia übernachtet auch in meiner Herberge, sie war bei der Ankunft heute mittag auch ganz fertig. Als ich ihr erzähle, dass ich ernsthaft überlege, mit dem Zug weiter zu fahren - wie es auch Debbie und Michelle machen wollen - rät sie mir ernsthaft ab und überzeugt mich mit dem Argument ihrer Mutter, die den Camino auch gegangen ist: "Wenn man bis León gekommen ist, dann geht man auch weiter und schafft es bis Santiago!" Und León ist nur noch 2-3 Tagesreisen entfernt. Also werde ich meinen Camino morgen zu Fuß fortsetzen!

Erkenntnis des Tages: Ein Wiedersehen mit Freunden erhellt das Gemüt und bringt Spaß und Kraft.

 
Samstag, 12.05.2012: Sahagún - El Burgo Ranero (18,2 km)
Im Nachhinein war die Herberge in Sahagún eigentlich recht gut: ich habe prima geschlafen und bin erst um 6.20 Uhr aufgestanden. Nach einem Desayuno im Ort mache ich mich auf die Strecke.

Hauptweg oder Variante? Heute entscheide ich mich für den Hauptweg, denn die Variante hat den Nachteil, dass es auf 18,5 km keinen Schatten und keine Wasserstelle geben soll.
Nun ja, viel Schatten geben auch die Bäume entlang der Straße am Hauptweg nicht - sie stehen eigentlich an der falschen Seite und der Schatten trifft den Pilger nicht!

In Bercianos del Real Camino lüfte ich bei einem Kaffee meine Füße in einer netten kleinen Bar direkt am Ortseingang. Ich habe mir angewöhnt, etwa alle zwei Stunden eine Pause zu machen und die Füße zu lüften - das tut gut! Ist übrigens eine Pilgerweisheit, die Marina und Regina mir mitgegeben haben.

Da es wieder sehr heiß wird, halte ich mich nicht allzu lange dort auf und komme schon um 12.50 in El Burgo Ranero an.
Die Herberge La Laguna ist noch geschlossen, aber man kann sich im großen Garten schon einmal auf eine der Liegen in den Schatten legen.
Der Schlafsaal hält nicht das, was die tolle Gartenanlage verspricht: es ist sehr eng dort und die Betten quietschen bei jeder Bewegung.
In der geräumigen Küche kann man sich sehr gut verpflegen, aber für mich als Einzel-wanderin lohnt sich das nicht.

Im Ort scheint alles derselben Familie zu gehören: unsere Hospitalera tritt auch in einem der beiden Restaurants dort auf und vermittelt weitere Schlafplätze für Leute, die zu spät ankommen und kein Bett mehr in den lokalen Herbergen finden.

Man trifft alte Bekannte - Sylvia aus Holland - und lernt neue Leute kennen. So sitzen Bärbel, die, bevor sie 70 wird, den Camino endlich gehen will, und ihre Freundin Renate und eine dänische Renate mit mir am Tisch, um den Nachmittag zu verbringen.

Und in meiner Herberge unterhalte ich mich mit Maria und Karin. Maria ist Tochter von "Gastarbeitern", geboren und aufgewachsen bei Frankfurt, mit Wurzeln in Galicien, und sie spricht natürlich auch spanisch. Sie ist mit ihrer Freundin Karin auf dem Camino. Beide werde ich später wieder treffen. Auch die beiden Renaten und Bärbel werden mir wieder über den Weg laufen.

Der Abend ist lau und man kann bis 22.00 Uhr draußen sitzen, dann ist wie immer in den Herbergen Bettruhe angesagt. Zum Glück werden die Türen aufgelassen, so dass ein frischer Wind durch den Raum geht.
Mein Über-mir-Schläfer wirft sich beim nächtlichen Umdrehen dermaßen auf die Matratze, dass das ganze Stockbett wackelt und ich Angst habe, dabei heraus zu fallen!

Ach ja, seit zwei Tagen habe ich "Knie" und "Schienbein". Das gefällt mir gar nicht. Sollte das die Strafe sein für mein arrogantes Zecken über die vielen Fußkranken?

Erkenntnis des Tages: Man muss wirklich früh los gehen, wenn der Tag heiß wird.

 
Sonntag, 13.05.2012: El Burgo Ranero - Mansilla de las Mulas (19,1 km)/León (Bus)
Ab 6.00 Uhr wurde gerödelt. Bin also auch recht früh auf dem Weg. Der Nachteil am frühen Aufstehen ist, dass man so früh nirgendwo einen Kaffee bekommt. Ich habe mich dann heute morgen mit einem Apfel begnügt.

Wie immer läuft es früh morgens recht gut. Es ist wieder eine Karawane von Pilgern auf der Strecke, es waren ja auch alle 80 Herbergs-Betten und noch einige private des Ortes belegt. Und alle Übernachter sind nun auf dem Weg!

Heute ist Muttertag und ich kann mich über meine Pänz nicht beklagen: es gibt eine SMS aus Australien und einen versuchten Telefonanruf aus Georgien, und das, obwohl wir in unserer Familie den Muttertag eigentlich abgeschafft hatten - aber man freut sich ja doch.

Kurz vor Reliegos treffe ich Maria und Karin, wir gehen ein Stück zusammen und machen zusammen Pause. Inzwischen tut mir mein Schienbein richtig weh, ich habe eine Schwiele am rechten dicken Zeh und der kleine Zeh ist auch noch nicht ohne Beschwerde!

In Mansilla de las Mulas steuern die anderen die Herberge Jardin del Camino an, die sehr nett aussieht. Morgen will man dann noch ein Stück laufen, um dann mit dem Bus die letzten Kilometer nach León zu fahren.
Ich überlege hin und her, habe aber keine Lust mehr auf eine weitere Meseta-Etappe morgen in der Hitze und gehe kurzentschlossen zum Busbahnhof und überwinde die letzten 19,5 km bis León auf diese Weise. Übrigens sehr preiswert für 1€ 50 und in 20 Minuten!

Sehr nette spanische Pilger, die auch mit dem Bus fahren, zeigen mir den Weg vom Bus-bahnhof in León zur Kathedrale. Dort in der Nähe suche ich ein Hotel, das man mir empfohlen hat.
Als ich ihnen abends wieder über den Weg laufe, erkundigen sie sich, ob alles o.k. ist! Pilger halt! Man hilft sich, man kümmert sich. So auch eine Deutsche, die ich wegen eines Stadtplans anspreche - die Touristinfo ist geschlossen wegen Siesta. Sie schleppt mich in ihr Hotel und bittet die Rezeptionistin dort, mir den Weg zu einem anderen Hotel zu erklären.

Mein Hotel liegt außerhalb der Touri-Zone um die Kathedrale und ist einfach, aber ruhig und geräumig.

Begibt man sich in die Nähe der Kathedrale, so trifft man unweigerlich alle möglichen Leute, denen man schon vorher begegnet ist: Debbie, Peter, Brian, Marina und Regina, das Liebes-paar, Sylvia, Bärbel und Renate und die dänische Renate und noch viele mehr. Auch wenn ich alleine unterwegs bin, ich bin nicht wirklich alleine! Das ist sehr schön so!

Regina hat sich den Magen verdorben - waren es die Calamares oder etwa Wasser? Man warnt davor, zwischen Burgos und Astorga Wasser aus öffentlichen Trinkwasserbrunnen zu trinken. Als wir dies ansprechen, hat sofort jeder eine Geschichte über Magen-Darm-probleme zu erzählen: Radio Camino!

Marina und Regina haben wenig Zeit, sie sind bei den Nonnen und müssen schon um 21.30 Uhr in der Herberge sein! Die meisten anderen aber haben freien Ausgang und Debbie und ich ziehen bis Mitternacht um die Häuser und probieren diversen vino tinto und tapas dazu. Es ist eine superwarme Nacht und das Leben findet draußen statt. Herrlich!

Auf dem Nachhauseweg gönne ich mir noch einen Café solo in einer kultigen Kneipe und bin dann - für meine Verhältnisse als Pilgerin - spät im Bett.

Erkenntnis des Tages: Busfahren ist auch mal schön!

 
Montag, 14.05.2012: León
Frühstücke in einer Bar hier um die Ecke und bin die einzige Pilgerin hier. Dabei läuft - wie in jeder spanischen Bar - der Fernseher und ich erfahre, dass die CDU bei der gestrigen Wahl in NRW wohl große Verluste eingefahren hat und dass die SPD mit den Grünen die Mehrheit gewonnen hat. Ich bin eine gute Woche unterwegs und schon ganz weit weg von den sonst alltäglichen Ereignissen!

Danach habe ich mich einfach treiben lassen und bin kreuz und quer durch León gestreift. León ist eine schöne Stadt mit schönen alten Häusern und Plätzen.
Hier und da habe ich mich in ein Café gesetzt, etwas zu mir genommen und die Leute beobachtet. Habe bekannten Pilgern zugewunken und bin gefragt worden: "Sitzt du immer noch da?" - "Nein, schon wieder!"
Bin dann in die Kathedrale gegangen. Ein Traum! Diese Fenster! Vielleicht hat mir diese Kathedrale auch so gut gefallen, weil es zur Eintrittskarte einen sehr guten Audioguide gab. Der war wirklich gut gemacht.

Je öfter ich durch die Gassen gehe, desto mehr stelle ich fest, dass der Aufenthalt in León teuer werden kann: zweimal kaufe ich Schmuck - der ist ja leicht und den kann ich gut mitnehmen! Die Ohrringe, die ich kaufe, fallen dann auch anderen auf: sie sind der Fenster-rosette der Kathedrale nachempfunden. Außerdem gibt es ein Armband mit kleiner Jakobsmuschel.

Nachmittags schüttet mir die dänische Renate ihr Herz aus. Sie ist mit einer anderen Dänin unterwegs, aber die Zweisamkeit klappt nicht. Renate will mit dem Camino aufhören und lieber nach Madrid fahren, weiß aber nicht, wie ihre Freundin damit umgehen wird.
Diese Situation habe ich öfter auf dem Jakobsweg erlebt: zwei Freundinnen o.ä. begeben sich gemeinsam auf den Weg, es harmoniert aber nicht - weil man unterschiedliche Ge-schwindigkeiten hat, weil man unterschiedlich lange Strecken absolvieren will, weil man unterschiedliche Vorstellungen von Pause, Picknick und Unterkunft hat.
Man hadert miteinander und schließlich trennen sich die Wege, mit dem Ergebnis, dass man sich viel besser fühlt!
Ich glaube, dass es recht schwierig ist, mit jemand anders diesen Weg zu gehen. Man macht ihn am besten alleine.

Die 1 1/2 Ruhetage haben mir übrigens gut getan. Ich bin gestern gleich in eine geöffnete Apotheke gegangen und habe dem Apotheker von meinen Leiden erzählt. Er meinte nur: "Typisch für Leute auf dem Camino, da hilft nur dies" und gab mir eine Anstaltspackung Traumeel-Salbe, die ich nun fleißig auf mein Schienbein schmiere. Außerdem habe ich mir Fußbad gekauft, das ich im Bidet meines Hotelzimmers nehme! Man muss sich zu helfen wissen!

Ich lasse meinen Aufenthalt hier mit einem leckeren Pilgermenu ausklingen, zusammen mit der dänischen Renate, Vivi und dem Kanadier Bill. Es gibt als ersten Gang Riesengarnelen vom Grill! Köstlich! Geht es uns gut oder geht es uns gut?

Erkenntnis des Tages: Man muss seinen eigenen Camino gehen - alleine!

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