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Dienstag, 15.05.2012: León - La Virgen del Camino (Bus)/ - Villar de Mazarife (13,8 km)
Ich gestehe, ich benutze heute schon wieder den Bus! Aber die 8 km aus León raus durch die Vorstädte und Industriegebiete will ich mir nicht antun, davon hat man mir auch schon zu Hause abgeraten. Und wem bin ich Rechenschaft schuldig? Nur mir allein!
Ich ertappe mich dann auch abends bei Gesprächen dabei, mich dafür zu entschuldigen, dass ich heute "nur" 13,8 km gelaufen bin! Wieso entschuldige ich mich eigentlich dafür? Ich beschließe, dieses Verhalten, das durch ein gewisses - auch hier vorhandenes - Leistungsdenken hervorgerufen wird, ab sofort zu unterlassen!
Es ist mein Camino und nur ich weiß, was gut für mich ist!

Aber zurück zum Anfang des Tages. Ich nehme um 7.15 Uhr den Bus nach La Virgen, was auch noch einige französische Pilger mir gleich tun. Auf der Fahrt sehe ich die anderen Pilger dann die endlose Straße entlang laufen.
In La Virgen finde ich die dringend empfohlene Alternativstrecke relativ leicht, und wenn man einmal den Einstieg gefunden hat, dann ist diese Alternative wunderbar ausgeschildert.

Es geht über eine Hochebene, die aber schon ein anderes Bild als die Meseta bietet, wieder habe ich wunderbare Weitsicht und bald kann man auch Berge sehen, das werden die Montes de León sein.

In Chozas de Abajo gibt es einen wunderbaren café con leche und ein Riesenbocadillo. Es ist nun nicht mehr weit bis zu meinem Etappenziel heute. Aber ich werde doch noch aufgehalten.

Als ich nach meiner Pause weiter gehe, sehe ich kurz hinter dem Dorf, dass eine Pilgerin, die auch in der selben Bar Pause gemacht hatte, am linken Straßenrand hockt, daneben steht ein kleiner Lieferwagen. Irgendetwas ist nicht in Ordnung.
Als ich näher komme, sehe ich, dass sie an einer Hand stark blutet und gerade dabei ist, sich die Finger mit Pflaster zu verbinden.
Ich nehme zunächst an, dass sie gestürzt ist und dass der Fahrer des Lieferwagens, der neben ihr steht, ihr helfen will. Doch weit gefehlt! Als ich frage, was passiert ist, sagt sie:"He hit me with the car!" Er hat sie mit dem Auto angefahren!
Ich fasse es nicht!
Er gestikuliert, dass sie auf der falschen Seite gelaufen sei und die Straße ohne zu gucken überquert habe, deshalb sei es zu diesem Unfall gekommen.

Das interessiert mich im Augenblick eher weniger, ich will der Frau helfen und radebreche: "Donde medico?" Wo gibt es einen Arzt? Er zuckt mit den Schultern und weist in die Ferne. Also hier offensichtlich nicht.
Während ich mit der Frau rede, sie frage, wie es ihr geht, ob ich ihr helfen kann, geht der Unfallfahrer zu seinem Auto, steigt ein und fährt weg! Na, vielleicht holt er im nächsten Dorf Hilfe.
Die Frau steht auf, will unbedingt weiter gehen, obwohl ich ihr davon abrate.
Sie geht weiter, aber nach 10 Metern wird sie wackelig, nimmt ihren Rucksack ab, setzt sich drauf und sagt, dass sie nicht mehr weiter kann, ihr Fuß tut zu weh.
Was tun? In diesem Augenblick kommen die anderen Pilger, die im Dorf Pause gemacht haben und Bill aus York hat sofort die richtige Idee:112 anrufen.

Das tue ich und es klappt! Man wird verbunden mit einer spanischen Stelle, die nach der gewünschten Sprache fragt und so können wir auf Deutsch weiter reden.
Nachdem ich alles beschrieben habe, teilt man mir mit, dass eine Ambulanz aus León gerufen wird und auch die Verkehrspolizei. Die Dame soll sich ruhig verhalten und im Schatten warten.
Schatten? Den gibt es auf dieser Straße nicht. Also stellen Bill und ich uns vor die Dame und werfen Schatten.
Nach 10 Minuten kommt eine Verkehrsstreife, hält an und befragt uns. Automarke? Kennzeichen? Keine Ahnung, darauf haben wir nicht geachtet, wir waren mit der Frau beschäftigt!
Die Pilgerin, eine US-Amerikanerin mit rumänischen Wurzeln spricht ein paar Brocken Spanisch und kann nun den Polizisten den Hergang in etwa schildern. Es scheint, als habe der Autofahrer noch versucht, die Frau während des Überquerens der Straße zu überholen und sie dabei gestreift. Hätte er etwas mehr Geduld gehabt und gewartet, dann wäre wohl nichts passiert.

Nach einigem Hin und Her nehmen die beiden Verkehrspolizisten die verletzte Pilgerin in ihrem Einsatzwagen mit und fahren zurück in das Dorf, um auf die Ambulanz aus León zu warten. Ich werde nicht mehr gebraucht und kann meinen Weg fortsetzen.

Von nun an belehre ich jeden, der unvorsichtig auf der Straße läuft und achte auch selber darauf, dass ich mich auf sicheren Pfaden befinde. Ich beobachte immer wieder, dass Pilger mit einem gewissen Maß an Gottvertrauen mitten auf der Straße laufen, zu zweit oder dritt nebeneinander und sich dabei unterhalten.

Das letzte Stück nach Villar de Mazarife lege ich mit Sylvia und einem jungen Deutschen zurück, wobei der beschriebene Unfall natürlich das Thema ist.

Die Herberge San Antonio de Padua dort ist wieder einmal wie ein Paradies: Vor dem Haus ist ein Garten mit Liegestühlen und Schattenplätzen; der Schlafsaal ist geräumig; die Atmosphäre ist sehr nett; man fühlt sich wohl.
Irgendwie kommt man sich vor, wie in einer großen Familie. Man sitzt vor dem Haus und begrüßt freudig die Neuankömmlinge, die meist bekannt sind und eben auch "zur Familie" gehören. Dabei "leckt man seine Wunden", indem man seine Füße mit großer Hingabe salbt und versorgt.

Nachmittags drehe ich eine kleine Runde durch den Ort. In der Mitte steht die Kirche mit dem typischen schmalen Kirchturm, auf dem sich - auch typisch - etliche Storchennester befinden. Als wir die Störche beobachten, setzt mit einem Höllenlärm das Glockengeläut ein, das den Störchen überhaupt nichts auszumachen scheint.

Auf dem Rückweg winkt uns ein kleiner älterer Mann in sein Haus: er habe ein Museum, der Eintritt sei frei! Bitte eintreten!
Man kann ihm gar nicht entkommen, also treten wir ein und entdecken ein witziges kleines privates Museum zum Thema Telefon - im weitesten Sinne!
Antolin (besagter Mann) hat dort alles, was nicht niet- und nagelfest ist und irgendwie eine Verbindung zum Thema Telefon hat, gesammelt und liebevoll gestaltet an Wänden und auf Regalen wirklich künstlerisch ausgestellt: Schrauben, Muttern, Telefonhörer, -Apparate, Isolatoren, Telefonschnüre, Werkzeug und und und.
Er führt uns sichtlich stolz in seiner Casa Antolin in der Calle La Torre umher. Zum Schluss gibt es noch ein Erinnerungsfoto und man gibt gerne einen freiwilligen Obulus in einen ausgedienten Münzfernsprecher.

Es gibt ein sehr leckeres vegetarisches Abendessen (Salat, Suppe, vegetarische Paella, Crèpes, Wein, Wasser), das gemeinsam an liebevoll eingedeckten Tischen eingenommen wird.
Der Tag klingt aus im Garten, heute ist es wieder angenehm warm. Was für ein Tag!

Erkenntnis des Tages: Als Pilger ist man - wenn man es will - ein Teil einer großen Familie, in der man gut aufgehoben ist.

 
Mittwoch, 16.05.2012: Villar de Mazarife - Villares de Órbigo (18 km)
Nach einer recht guten Nacht verabschiedet sich diese Albergue so, wie sie uns aufge-nommen hat: mit einem sehr guten Frühstück.
Um 7.15 Uhr gehe ich los, es ist recht kühl, aber angenehm heute morgen. Obwohl man viel auf Straße und Schotterpisten läuft, ist es nicht langweilig, man sieht immer wieder schnee-bedeckte Berge im Hintergrund.
Es geht flott voran heute Vormittag und ich erreiche bald Hospital de Órbigo, wo es über eine imposante alte Römerbrücke geht.
Im Ort machen einige Pilger Pause, ein herrlicher Anblick, wie sie alle nebeneinader auf einer Bank sitzen und ihre Füße auf die unterschiedlichste Art pflegen! Na, ich will nicht zu laut schreien, noch bin ich ziemlich verschont geblieben, was Fußprobleme angeht!

Um 12 Uhr bin ich bereits an meinem heutigen Etappenziel, in Villares de Órbigo.
Der Ort ist wie ausgestorben, aber ich finde die mir wämstens empfohlene Herberge sehr schnell: man muss nur die Hauswand suchen, die mit Pilgerwäsche und gestreiften T-Shirts bemalt ist!

Die meisten Mitpilger aus meiner vorigen Herberge wollen heute noch weiter laufen, viele haben sich Astorga als Ziel gesetzt, aber das ist mir mit 31 km viel zu weit! Ich finde, 18 km sind gerade richtig!
Leider scheinen viele Pilger nicht zu wissen,auf welches Kleinod an Herberge sie verzichten, wenn sie hier weiter laufen!

So sind wir heute nur insgesamt 7 Pilger, die hier übernachten! Mir wurde diese Herberge von meinen Mitpilgerinnen des letzten Jahres empfohlen, was ich auch bei der Anmeldung erwähne. Natürlich schauen wir im Gästebuch nach und ich finde die vier Frauen aus Willich-Anrath. Und vor ein paar Tagen hat sich auch Lothar hier verewigt, den ich auch seit dem letzten Jahr kenne und der auch in diesem Jahr den Weg fortsetzt.

Zwei junge Spanier aus Madrid haben vor zwei Jahren diese Herberge aufgemacht, nach-dem sie dieses alte Bauernhaus liebevoll renoviert hatten. Die Zimmer und die Bäder sind vom Feinsten! Wirklich schade, dass sie nicht mehr Gäste haben. Wir haben versprochen, für sie die Werbetrommel zu rühren!

Da die örtliche Bar heute geschlossen hat, versorge ich mich im kleinen Laden mit Brot, Aufschnitt, Wasser und Wein und genieße diese Dinge im sonnigen Hof der Herberge. Dabei lerne ich einen älteren Herrn kennen, der mit seinem Fahrrad als Scherenschleifer umher fährt und den Leuten seine Dienste anbietet.

Heute nun wird er die Messer dieser Herberge schleifen, doch vorher stärkt er sich mit einem guten Imbiss, den ich mit einem Glas meines Weines "upgrade".

Dann kann ich ihm bei der Arbeit zuschauen: er hat ein zweites Schwungrad an seinem Fahrrad, das er mit den normalen Pedalen antreibt. Dadurch wird die Schleifscheibe ange-trieben und er kann die Messer schleifen. Dies tut er mit großer Genauigkeit und Hingabe. Köstlich!

Im Laufe des Mittags treffen zwei Berliner Schwestern hier ein, ebenso eine ältere Pilgerin aus Australien, Marina und Regina (Bayern) und Roberto aus Italien.

Nachmittags haben Regina, Marina und ich die Apotheke des Ortes "überfallen" und uns mit allerlei Anti-Blasen-Zeug versorgt. Mit Händen und Füßen - wahrlich! - haben wir unsere Wünsche ausgedrückt und waren sehr erstaunt, wie gut sortiert diese kleine Apotheke war und wie hilfreich und erfinderisch die Apothekerin!

Das Abendessen findet draußen im Patio des alten renovierten Bauernhauses statt. Roberto gibt den aufmerksamen Mann. Er teilt Salat, Eintopf und Wein aus und verkauft sich sehr charmant unter all den Frauen. Es wird wieder einmal in allen Sprachen kreuz und quer parliert.
Plötzlich erscheint "überfallartig" ein junges italienisches Paar, das Marina und Regina sucht. Sie wollen nur "Hallo" sagen und dann werden sie weiter wandern. Sie laufen öfter nachts, nur mit je einer dicken Kerze bewaffnet und sie campieren dann irgendwo in ihrem Zelt! Auch ein wenig verrückt!

Erkenntnis des Tages: Abseits der "angesagten" Hauptetappenorte findet man ganz leicht tolle Herbergen, die ganz und gar nicht überlaufen sind!

 
Donnerstag, 17.05.2012: Villares de Órbigo - Murias de Rechivaldo (20 km)
Heute ist Himmelfahrt, aber das ist offensichtlich kein Feiertag in Spanien.
Nach einem ausgiebigen und guten Frühstück geht es in aller Ruhe erst um 8.15 Uhr los. Unsere sehr netten Herbergseltern geben uns noch den ein oder anderen guten Rat mit auf den Weg.
Sie spricht übrigens Deutsch und mit ihm kann man sich auf Englsich unterhalten. Auch zu den vor uns liegenden Herbergen sagen sie etwas. Die Frage ist nämlich: in Astorga bleiben oder noch ein Stück weiter gehen?
Man rät uns zu der kleineren privaten Herberge in Murias de Rechivaldo, die ist auch in einem renovierten Bauernhaus, während die Herbergen in Astorga riesig sind.

Der erste Teil der heutigen Etappe führt durch hügelige grüne Landschaft, später über eine Hochebene und macht viel Spaß.

Mitten auf der Hochebene haust seit ein paar Jahren ein weiteres Unikum des Camino: David aus Barcelona, eine Art Hippie, ein Aussteiger. Er wohnt praktisch im Freien, nennt seinen Unterschlupf La Casa de los Dioses und bietet den vorbeikommenden Pilgern Säfte, Wasser und Kaffee gegen eine Spende an. Hier hält praktisch jeder an und holt sich zumindest einen Stempel!

Blühender weißer Ginster säumt den Weg, man blickt auf die Berge hinter Astorga und ich werde durch ein Graffito bestätigt: "Good speed is your speed" lese ich auf einem Beton-mast. Sage ich doch!

Es ist wirklich nicht langweilig heute: kurz hinter der Casa de los Dioses ertönt eine laute wohltönende Stimme hinter mir. Jemand schmettert laut und aus vollem Herzen französiche Popsongs, scheint es mir.
Der Gesang kommt immer näher und ich werde von einem langen Pilger überholt, der barfuss bzw. nur in Schlappen flotten Schrittes mit seinem geschmückten Pilgerstab Rich-tung Astorga marschiert. Knöpfe im Ohr und dazu laut singend!
Mir gefällt das sehr gut, denn der Gesang kann sich hören lassen. In Astorga sehe ich später diesen Freak wieder, der nur mal eben die 6 km von Davids Behausung nach Astorga und zurück(wieder 6 km) läuft um eine Kleinigkeit zu besorgen!

Am Wegekreuz von Santo Toribio mache ich Rast und genieße den Blick hinunter nach Astorga.

Der Weg in die Stadt und später weiter wieder hinaus aus Astorga ist weniger schön als der erste Teil. Auch Astorga selber hat mich irgendwie nicht wirklich angesprochen, bin wohl mit einem "linken Fuß" dort angekommen.

So begebe ich mich zügig durch das Zentrum zur Kathedrale und dem Bischofspalast von Gaudí.
Zu einer Besichtigung dieser beiden Gebäude bin ich aber etwas zu spät, so gönne ich mir einen café con leche und ein Teilchen und wandere weiter.

Die von unseren letzten Hospitaleros empfohlene Albergue Las Aguedas in Murias erweist sich tatsächlich als guter Tipp: saubere Betten, schöner sonniger Innenhof, große Wiese hinterm Hof, nette Hospitaleros aus Kuba (!), abends ein tolles Essen (Gemüsecremesuppe, Reis mit Hackfleisch, Spiegelei und Paprika, Joghurt, Wein und Wasser)! Was will man mehr?

Es übernachten nur 8 Leute hier: 1 Österreicher, 1 Deutsche, 1 Spanierin, 2 Radler aus der Schweiz und wir drei; ja, Marina und Regina sind kurz nach mir auch hier eingetroffen.

Erkenntnis des Tages: Good speed is your speed!
(Übrigens habe ich heute die 200-km-Marke überschritten.)

 
Freitag, 18.05.2012: Murias de Rechivaldo - Rabanal del Camino (16,2 km)
Wir sind nun kurz vor dem Anstieg über die Montes de León, in der Ferne sieht man die schneebedeckten Berge.
Die Landschaft hier heißt Maragatería, ist wild, rau und bietet heute tolle Weitblicke bei ständig wechselndem Himmel: mal bedrohlich dunkle Wolken, mal blauer Himmel, da-zwischen Sonne, aber immer sehr windig und recht kalt. Immerhin sind wir inzwischen auf ca. 960 m Höhe und werden heute in Rabanal auf 1156 m Höhe sein!

Heute ist mal wieder Volkswandertag angesagt: man macht sich für die Überquerung der Montes de León bereit!
Nach 9 km mache ich Pause in El Ganso und genieße im Windschatten die Sonne.

Ich finde die Landschaft heute atemberaubend! Der kalte Wind bläst im Laufe des Tages die dunklen Wolken weg und der Himmel ist wie blank geputzt.

Irgendwann kommen mir tatsächlich die Tränen, weil diese Landschaft so schön ist und mir dabei das Herz aufgeht. (Bei Hape Kerkeling lese ich später, dass jeder irgendwann einmal auf dem Camino weint!)

Mir werden heute noch ein weiteres Mal die Tränen kommen, aber aus anderen Gründen. Der Weg ist nicht gefährlich oder besonders anstrengend, allerdings sind jede Menge große Steine auf der Piste. Als ich dann einmal wieder den Blick zu den Bergen schweifen lasse, nach dem Motto: "Ach, ist das schön hier!" übersehe ich einen dieser Steine und stolpere darüber.
Durch das Gewicht des Rucksacks falle ich nach vorne über, habe die Wanderstöcke fest an den Handgelenken und falle mit allem hin.
Dabei ramme ich mir den rechten Wanderstock irgendwie in die rechte Brust oder in die rechte Achselhöhle. Ich erschrecke mich total, schreie auf und liege wie ein Käfer auf dem Rücken und kann nicht mehr alleine aufstehen!
Marina und Regina, die ein paar Meter hinter mir waren, kommen angelaufen und helfen mir wieder auf die Beine. Ein paar Schrammen an den Händen, sonst scheint nichts zu sein, nichts gebrochen, ich kann weiter laufen. Gottseidank! Irgendwie tut es mir an der rechten Brust weh, aber das wird schon!

Ich gehe langsam weiter, der Schock löst sich und ich heule heute zum zweiten Mal. Die zwei wollen mich zu einer Pause überreden, aber ich will eigentlich diese Etappe nun nur noch zu Ende führen und in einer Unterkunft ankommen um mich dort auszuruhen.

Die beiden kümmern sich rührend um mich, sie haben sich wohl auch ziemlich erschrocken!
Sie wollen heute noch ein Stück weiter laufen, damit sie näher am Fuße des Cruz de Ferro sind, das morgen bezwungen werden soll.
Bevor wir uns in Rabanal trennen, tauschen wir unsere Handynummern aus und die zwei versichern mir, dass sie auch zurückkommen würden, wenn es für mich nötig wäre, sie sind wirklich liebe und verlässliche Menschen!

In Rabanal gehe ich in die städtische Herberge, die mir von einem deutschen Ehepaar empfohlen wird. Sie übernachten auch dort und geben mir den Tipp, dass es dort auch Einzelbetten im oberen Stockwerk gäbe! Das überzeugt mich, heute will ich eigentlich keine großen Kompromisse mehr machen.

Ich habe Glück und kann oben unterkommen. Jürgen und Christa, besagtes Ehepaar, sind zum zweiten Mal auf dem Camino und picken sich aus Zeitgründen dieses Mal "die Highlights" des Camino heraus, zwischendurch fahren sie mit Bus oder Bahn.

Ich schütte ihnen mein Herz aus - was meinen Unfall betrifft - und sie spüren meine Ver-zweiflung. Sie sprechen mir Mut zu und bringen mir unaufgefordert einen Tee zum Trost!
Später sitzen sie hinten im Garten der Herberge und machen Musik.
Er spielt eine Streich-Psalter und sie begleitet ihn auf einer Flöte. Das klingt sehr schön. Jürgen hat für sein immerhin 1-kg-schweres Musikinstrument eine extra wasserdichte Tasche gebastelt, damit er sie unbeschadet mitnehmen kann. Sie machen wohl auch immer mal wieder Musik in den Kirchen hier am Camino!

Im Hof behandelt der Hospitalero eine Südkoreanerin, die eine handtellergroße Blase unter dem Fuß hat. Etwa eine halbe Stunde lang piekst er in diese Blase und spritzt irgendeine Medizin hinein.
Die Südkoreanerin lächelt dabei die ganze Zeit, macht keinen Mucks. Aber die Tränen des Schmerzes laufen ihr dabei die ganze Zeit über das Gesicht! Man kann sich kaum vorstellen, dass sie morgen weiter laufen kann, aber sie wird es tun!

Im Laufe des Nachmittags laufe ich durch Rabanal und stelle dabei fest, dass alle Hostals und Herbergen ausgebucht sind. Rabanal ist wieder so ein Ort, von dem aus die meisten eine schwierige Etappe in Angriff nehmen!

Abends schließe ich mich zwei Pilgerinnen aus meiner Albergue an, Lotte aus Dänemark und Manon aus Quebec, und wir gehen zusammen "italienisch" essen. Das verheißt jedenfalls das Schild am Restaurant. Hinterher stellen wir fest, dass es sich nur um Tiefkühlkost handelt, aber egal, wir wollten nicht wieder ein Pilgermenu essen. Der Wirt schenkt uns viel Aufmerksamkeit und wir unterhalten uns gut.

Erkenntnis des Tages: Man sollte immer auf den Weg achten.
Und: Es ist gut, nicht alleine zu sein!

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